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Streichquartett c-Moll, WAB 111 (1862)

Streichquartett c-Moll, WAB 111 (1862)
 

NGA XIII/1 (Nowak, 1955)

Van Zwol Bruckner-Biografie 682f.

Da das Manuskript (im sog. Kitzler-Studienbuch) kaum dynamische und agogische Angaben für die Aufführungspraxis enthält, hat Nowak für die Stimmen die Angaben des Koeckert-Quartetts (das die Uraufführung spielte) übernommen; die Studienpartitur dagegen gibt den Zustand des Manuskripts wieder.


 



Die Aufnahmen im historischen Überblick
Nowaks Entscheidung, die Studienpartitur konform dem Studienbuch abzudrucken und so eine mehr oder weniger 'diplomatische' Ausgabe herauszubringen, ist wissenschaftlich natürlich vollkommen korrekt, aber der mit der Studienpartitur versehene Musikliebhaber kann jetzt nicht mehr nachvollziehen, inwiefern sich die diversen Einspielungen auf die vom Koeckert-Quartett erarbeiteten Phrasierungen und dynamischen Zeichen stützen oder eigene Wege gehen. Generell lässt sich in den Einspielungen chronologisch gesehen eine zunehmende Interpretationsfreiheit gegenüber dem überlieferten Text feststellen; offenbar musste sich erst eine Rezeption herauskristallisieren, und auch die Sicht des Koeckert-Quartetts ist Teil von ihr. Die Tatsache, dass bis in die 1990er Jahre hinein die Wiederholung im 1. Satz nicht gespielt wurde, spiegelt eine Gepflogenheit der Musikpraxis, die früher gang und gäbe war. Die Diskografie des Streichquartetts ist noch immer relativ bescheiden, die meisten Aufnahmen entstanden seit den 1990er Jahren.

Das erste Ensemble, das Bruckners Streichquartett einspielte, war 1962, elf Jahre nach der Uraufführung, das Keller Quartett. Die Aufnahme atmet romantischen Geist in klassischem Gewande, da wo möglich wird romantisches Empfinden zum Ausdruck gebracht; das Ensemble hebt vor allem das Lyrische dieses Quartetts hervor, alles ist fließende Bewegung, manches klingt zart (etwa I, 110-114), vor allem die 1. Geige spielt manchmal zögerlich-zart. II hat Schubertsches Gepräge und wird sensibel gespielt, Dynamik wird demenstsprechend behutsam angewandt. In III wird der Kontrast zwischen dem forschen Scherzo und dem leicht und elegant gespielten Trio spürbar. Auch in IV wird der Kontrast zwischen dem ersten und dem zweiten Thema betont, aber  die Kontraste sind weniger groß als z.B. beim Koeckert-Quartett; das Keller Quartett verwendet auch mehr legato. Insgesamt ist die Aufnahme des Keller Quartetts weniger klar strukturiert als die des Koeckert Quartetts, aber sie kennt mehr Expression als diese; dazu passt auch das Ritardando in IV (165-166). Die Aufnahme besitzt eine gute Balance, aber die Musik klingt wenig räumlich.

Von der Uraufführung des Streichquartetts 1951 durch das Koeckert Quartett beim RIAS Berlin existiert im Rundfunkarchiv des RIAS-Nachfolgers Rundfunk Berlin-Brandenburg ein Mitschnitt, aber dieser ist nie veröffentlicht worden, und auch der Bayerischen und der Norddeutsche Rundfunk besitzen bisher unveröffentlichte Mitschnitte aus 1951; daneben gibt es einen späteren Mitschnitt vom Bayerischen Rundfunk (1974), der auf dem angeblich nepalesischen (sic!) Piratenlabel Karna erschienen ist. Anders als die Aufnahme vom Keller Quartett ist dies eine kräftige, energische Interpretation, die das Werk in die Tradition der Wiener Klassik stellt. I klingt souverän, mit mehr Ruhe als beim Keller Quartett, wozu auch das langsamere Tempo (07'06 gegen 06'19 - wenn man die Wiederholung in den späteren Einspielungen abzieht die langsamste Einspielung des 1. Satzes!) beiträgt. Ein anderer Unterschied ist der klare und helle Klang der Aufnahme. Das Koeckert-Quartett spielt den 1. Satz wie aus einem Guss, es ist eine große Linie. Im Vergleich zu anderen, besonders neueren Einspielungen fällt auf, dass die Dynamik zwar eingesetzt wird, aber eher sparsam; an einer Stelle weicht man von der Nowak-Ausgabe ab, nämlich in 173-174, wo Nowak pp notiert, das Koeckert Quartett aber (als einziges Ensemble) f spielt. Auch II führt nicht zu romantischen Stimmungen, auch hier herrscht Klarheit vor und das Spiel bleibt leicht und hell. III wird nüancenreich gespielt, aber glasklar; es wirkt verspielt, aber nicht elegant und das Trio wird ziemlich schnell gespielt (00'49 gegen Keller Quartett 00'57). IV ist sehr kontrastreich, das erste Thema heftig, das zweite zarter; das pp in 180 wird über ein Diminuendo erreicht.

Das relativ unbekannte Bamberger Dom-Quartett (jetziger Name: Bamberger Streichquartett) war allem Anschein nach hauptsächlich regional aktiv, aber wer von da aus Rückschlüsse auf die Qualität der Aufnahme (ca. 1988) machen würde, wäre einem Vorurteil erlegen. Die Einspielung hat einen eigenen Stil, der schon gleich zu Anfang deutlich wird. Die Einleitung von I (1-6) wird langsam gespielt, quasi als 'Auftakt', um dann mit einer Beschleunigung das Allegro moderato zu erreichen. Dieser Interpretationsansatz lässt sich auch im weiteren Verlauf verfolgen: Es gibt zwar ein Grundtempo, aber dieses wird immer wieder modifiziert, und so entsteht eine geladene, ausdrucksstarke Interpretation, die von der variablen, mit viel Phantasie eingesetzten Dynamik unterstützt wird. Dadurch klingt das Werk weniger anfängerhaft als beim Keller Quartett und dem Koeckert Quartett. II wird zart, aber, anders als beim Keller Quartett, gleichzeitig fest gespielt, leicht und gleichzeitig mit einem warmem Ton, wie überhaupt das Dom-Quartett einen dunkleren Klang produziert als die beiden Vorgänger. Das Scherzo klingt eher lieblich-biedermeierlich mit einer Prise Nachdenklichkeit, und das Scherzo ist ein Wunder an Zartheit; man kann sich höchstens fragen, ob dem Presto, das Bruckner hier vorschreibt, Genüge getan wird - mit 03'37 ist dieses Scherzo fast das langsamste aller Aufnahmen (Reinhold Quartett: 03'39). IV ist weniger auf Kontrastwirkung ausgelegt als beim Keller Quartett, und das gilt auch für die Dynamik: Die Extreme ff und pp sind nicht sehr ausgeprägt (vgl. T. 176, 180, 189), und da sich auch das Ritardando am Schluss in Grenzen hält, verschenkt man ein wenig von der Klimaxwirkung.

Das Bruckner-Quartett strebt in seiner Einspielung (1991) vor allem nach Klarheit, aber 'klar' bedeutet hier nicht etwa 'klassisch' (wie etwa beim Koeckert Quartett), sondern meint einen eher nüchtern-sachlichen Spielstil; es geht weniger um runden Schönklang als um eine scharfe Profilierung der Musik. In I gibt es einige nur leicht angedeutete Ritardandi, die dynamischen Unterschiede dienen dazu um Strukturen hervorzuheben und Spannung aufzubauen. Die Koda von I gelingt so packend. Trotzdem bleibt der 1. Satz insgesamt etwas brav. Das Andante (II) ist mit 07'45 sehr langsam, ist eher ein Adagio und atmet Wehmut; besonders in diesem Satz ist die Dynamik sehr schön abgestuft. Das Scherzo wird tänzerisch leicht gespielt, gleichzeitig auch strikt im Rhythmus, ist also nicht 'wienerisch' weich. Das Trio verbreitet einen gewissen Charme, aber auch hier bleibt die Klarheit vorherrschend. IV klingt dann lebhaft und forsch, Sensibiltät scheint diesem Spielstil fremd zu sein. Unterschiede in der Dynamik sind hier nicht sehr ausgeprägt - so fällt das ff (176) nicht besonders auf, das pp in 180 ist eher ein p. Die Interpretation ist jedoch konsistent. Die Aufnahme ist gut, aber etwas kühl; vor allem die 1. Geige klingt in den Ecksätzen in höheren Lagen leicht scharf.

L'Archebudelli (1994) hat sich historischen Instrumenten und einem entsprechenden 'historischen' Spielstil verschrieben, und das hat natürlich einen deutlich anderen, im Vergleich 'herben' Klang zur Folge, an den manche sich vielleicht erst noch gewöhnen müssen, aber dadurch gelingt eine wunderbare Transparenz im Ausdruck. L'Archibudelli ist übrigens das erste Ensemble, das in seiner Aufnahme die Wiederholung im 1. Satz spielt. Ähnlich wie das Bamberger Dom-Quartett werden in I die ersten Takte eher nachdenklich gespielt, wonach dann das Tempo beschleunigt, im weiteren Verlauf aber variabel gehandhabt wird. Das Spiel ist lebhaft und glasklar, die Dynamik variiert, und das macht den Ablauf spannend. Durch den Tempokontrast gelingt die Koda effektvoll. Wenn man die Aufführungsdauer um die Wiederholung korrigiert, stellt man fest, dass dies die bisher schnellste Einspielung des 1. Satzes ist, aber das Reinhold Quartett und vor allem das Leipziger Streichquartett werden dieses Tempo noch unterbieten; für die anderen Sätze liegen die Tempi im Durchschnitt. II klingt zart und intim; die 1. Geige spielt die Hauptrolle, die anderen Instrumente drängen sich nicht in den Vordergrund. Emotionen gelangen nicht durch Eruptionen, sondern durch leichte Tempomodifizierungen zum Ausdruck. Gerade dieses zurückhaltende Spiel hinterlässt großen Eindruck. III lebt vom Kontrast zwischen Scherzo und Trio, ersteres eher burschikos-männlich, letzteres anmutig-weiblich. Wie I kennzeichnet sich IV durch lebhaftes Spiel, das durch z.T. heftige Crescendi unterstrichen wird, etwa 46-50, mit einem ausgekosteten herben Akkord 51-52 - wir sind hier weit vom vergleichsweise 'abgeklärten' Spiel des Koeckert Quartetts entfernt. Ab 137 wird dann ein langsames Crescendo aufgebaut, das nach zwei ausgespielten Fermaten in den sorgfältig aufgebauten Klimax mündet.

Die Einspielung des Tassilo Quartetts, 1996 zusammen mit anderen selten gespielten bzw. nie vorher aufgenommenen Werken des Komponisten aus Anlass des 100. Todestages auf CD erschienen (die schon deshalb eine kleine Kostbarkeit darstellt) erreicht dieses Niveau trotz virtuosen Spiels nicht. Das Ensemble spielt sehr begeistert, ist aber wenig um Subtilitäten bemüht. Anders als bei L'Archebudelli ist die Balance nicht optimal, alle vier Instrumente klingen gleich laut und dadurch wirkt die Musik unruhig und ungestüm. Der Spannungsaufbau gelingt nur mäßig; so wirken z.B. die langsamen Takte am Ende von I (174-176) nicht. Das Andante bleibt blass, verläuft zu gleichmäßig. IV ist mit 04'48 von allen Einspielungen am langsamsten - bestimmt kein "Schnell", wie die Partitur vorschreibt und dadurch wirkt der Satz schwerfällig, zumal die begleitenden Stimmen der Bratsche und des Cellos genau so laut klingen wie die 1. und 2. Geige. Für die Aufnahme gilt, dass sich an dem Spiel technisch wenig aussetzen lässt, nur berührt es zu wenig, trotz aller Sorgfalt, die darauf verwendet wird.

Die Aufnahme des Reinhold Quartetts (2002) bietet makelloses Ensemblespiel, präzise und homogen. Die Dynamik dient der Abstufung, es wird subtil gespielt und schön phrasiert. Am Ende von I erzeugt das "Langsamer" (174-176) Spannung, die sich dann in den Schlusstakten (177-179) löst. Die Schönheit des Spiels mutet kühl an, ein Bild, das allerdings in II leicht korrigiert wird: Das Andante wird stellenweise mit großer Zartheit gespielt, etwa zwischen C und E (38-58) - leicht und zart tänzeln die Figuren daher, ohne dass dabei die Expressivität zu kurz käme. Leider können III und IV die Erwartungen nicht einlösen, und das dürfte vor allen Dingen an den gewählten Tempi liegen. Das Scherzo ist mit 03'39 das langsamste aller Einspielungen, es ist dadurch etwas zahm und bieder geraten; das Trio dagegen klingt lieblich und sogar etwas empfindsam. Auch das Schluss-Rondo ist mit 04'22 nicht wirklich schnell, und da dadurch die (Fermate-)Pausen relativ lang geraten, droht die Einheit zu zerbröckeln, weil Bruckner in diesem kurzen Satz, anders als bei seinen späteren großen Symphonien, keine langen Spannungsbögen aufbaut. Das pp (180) geht mit einer Verzögerung einher, wodurch das Ritardando am Schluss (189) an Wirkung einbüßt und das Quartett mit einem fast tragisch-pathetischen Unterton endet, den man nach dem Vorhergehenden nicht erwartet hätte. Eine Einspielung, die also einen etwas zwiespältigen Eindruck zurücklässt.

Die schnellste Einspielung biser stammt vom Leipziger Streichquartett (2004), und zwar wird dies vor allem durch den 1. Satz bewirkt: 07'56 inklusive Wiederholung, 05'50 ohne. Das Ensemble spielt sehr eloquent und phrasiert sehr schön, trotz des hohen Tempos. Die vier Stimmen sind mit guter Balance aufgenommen, wobei sich die Stimme der 1. Geige nicht auf Kosten der anderen produziert. Die Wiederholung ist nicht eine Reproduktion des ersten Durchgangs, sondern variiert diesen leicht. Dies ist eine klare Interpretation, eher auf Haydns Spuren als der Romantik verpflichtet - frisch, beweglich, stellenweise fast heiter, fast ungewohnt für Bruckner! Für ein Allegro moderato mag das vorgelegte Tempo aber doch etwas schnell anmuten. Der 2. Satz wirkt entrückt und ätherisch, ist von apollinischer Schönheit. III ist das wieder erdverbunden und schnell (vergleichbar mit L'Archebudelli, Keller und Koeckert). Das Trio ist eine Spur behäbiger, bleibt aber tänzerisch - man ahnt quasi den Ländler dahinter. IV ist ein spukhaft gespieltes Rondo, teils aber auch heiter, mit skurrilen Läufen am Rande der Konvention; es wird gespielt als ein Mix von Klassik und Romantik. 


Ganz anders  die Aufnahme des Fine Arts Quartet (2007), die zu den langsameren gehört. Der etwas melacholische Einsatz trügt gewissermaßen: Das Fine Arts Quartet greift nach etwa sieben Takten kräftig zu und bringt eine packende Interpretation, die hie und da kräftige Akzente liebt und auch vor leichten Portamenti und Rubati nicht zurückschreckt, so dass eine gewisse Pathetik dieser Einspielung nicht fremd ist. Sie wartet weniger mit subtilen Nüancen auf, sondern bringt eine emotionsgeladene Interpretation, die trotzdem alles andere als grob gestrickt ist - das Quartett liefert Spiel vom höchsten Niveau. II ist mit 06'55 langsam, aber das Bruckner Quartett und das Israel String Quartet sind da langsamer); dass Spiel ist sehr kantabel, kennt aber kaum echt leise Stellen. Auch das Scherzo gehört mit 03'18 nicht zu den schnellsten Aufnahmen (es bewegt sich im Mittelfeld), wird aber sehr lebhaft und erdverbunden gespielt, wogegen das Trio sehr leichtfüßig wirkt. Das Rondo (IV) wird nicht wirklich "schnell" gespielt - mit 04'31 ist es die zweitlangsamste Aufnahme - aber wohl vital, so dass nicht der Eindruck der Langsamkeit entsteht, wie beim Tassilo Quartett und dem Reinhold Quartett, obgleich es immer wieder ganz leichte Verzögerungen gibt. Zwecks Steigerung der Internsität wird zweimal vor einem Fermate (166, 176) ein Ritardando eingelegt. Die Dynamik spielt in dieser Aufnahme eine untergeordnete Rolle - wie in Bruckners Manuskript - sie besticht durch ihr warmes, glutvolles Spiel.

Ähnlich klingt die Aufnahme des Israel String Quartet. Auch hier wird der 1. Satz robust und forsch gespielt, zarte Momente sind selten - das Ganze klingt wenig "biedermeierlich", eher zupackend, aber auch packend. II bildet dazu einen großen Kontrast, was den Andante-Charakter wirksam betont. Die einzelnen Figuren werden rhythmisch präzise gespielt, und das verleiht dem Satz stellenweise etwas Tänzelndes. Mit 7'08 ist II eher langsam; nur das Bruckner-Quartett war 1991 noch langsamer, während das Fine Arts Quartet mit 06'55 etwas schneller ist. Das Scherzo - Presto - ist eine Spur langsamer als man vielleicht erwartet hätte, das Trio aber wirkt tänzerisch leicht und schnell und im Vergleich zu seiner Umgebung auch zart. In IV werden die Kontraste zwischen den einzelnen Abschnitten scharf herausgehoben, robust und zart wechseln sich ab, wodurch die Interpretation sehr lebhaft und spannend wird. Durch die Art der Interpretation wird das Quartett über den Status eines "Anfängerwerks" hinausgehoben und verweist mehr auf den späteren Bruckner. Die Aufnahme wirkt sehr transparent. 


Das Zehetmair-Quartett (2010) bewegt sich mit den gewählten Tempi im Mittelfeld, rückt aber der "Schülerarbeit" mit Phantasie zu Leibe. Das macht der Anfang des 1. Satzes schon klar: Die ersten sechs Takte klingen etwas zurückhaltend (wie in manchen anderen Interpretationen auch), aber ab T. 7 startet dann ein beschwingtes, aber nicht zu schnelles Allegro moderato, wobei das Tempo außerdem öfters vorübergehend zurückgenommen wird. Das Spiel ist nirgendwo forsch, man bespürt eher eine Neigung zum Zarten hin. Dieses vorsichtige, zarte Spiel, das gelegentliche Retardierungen und dynamische Schattierungen phantasievoll einsetzt,  vermag auch in eine schlichte Partitur den Zauber des Poetischen zu legen und immer wieder kleine Schönheiten aufzudecken, wie auch II zeigt. III ist von allen vier Sätzen in seiner "Naivität" wohl am meisten der Tradition tributpflichtig; alle Wiederholungen werden selbstverständlich gespielt, aber eben immer wieder etwas anders. Besonders das Trio hat sehr viel Charm: luftig, duftig und tänzerisch kommt es daher. Der 4. Satz enthält stellenweise viel "Laufwerk", aber die Interpretation gibt der Musik eine emotionale Ladung, die über die kompositorischen Schwachstellen hinwegfegt, und dadurch gerät dieser Satz sehr kontrastreich. Diese Interpretation gewinnt der Musik keine neuen Seiten ab (was auch kaum möglich ist), aber sie nimmt Bruckners Komposition ernst und macht hörbar, dass eine stilgerechte Aufführung dieses Werks ein erfreuliches Hörerlebnis sein kann. Der Piraten-Live-Mitschnitt aus London bestätigt dieses Bild, macht aber gleichzeitig klar, dass die Spontaneität auch ein leicht wechselndes Tempo-Gefühl zur Folge hat.

Ungefähr zur gleichen Zeit (2010/2011) spielte auch das Fitzwilliam Quartet das Streichquartett ein, als "Filler" zu ihrer Aufnahme des Streichquintetts. Das Ensemble benutzt Darmsaiten, und das ist selbstverständlich nicht zu überhören. Was gleich auffällt, ist der kräftige, ja forsche Klang, der nirgendwo "lieblich" werden will und vielleicht sogar nach einiger Zeit ermüdet, weil er wenig Nüancen zu kennen scheint und das meiste mf - f gespielt wird. Ganz gerecht ist dieser erste Eindruck nicht, denn bei genauerem Hinhören stellt sich z.B. heraus, dass die erste Reprise im 1. Satz etwas zurückhaltender und zarter gespielt wird, und auch für andere Reprisen gilt, dass sie den ersten Durchgang leicht abwandeln (so etwa in der Reprise des Trios, wo plötzlich Pizzikati auftauchen). Insgesamt aber bleibt der Eindruck des nüancenarmen Spiels bestehen. Es wird dennoch sehr lebhaft und engagiert musiziert; alle Instrumente sind gleichwertig aufgenommen, gleichzeitig klingt die Musik transparent. Wie in der Aufnahme des Streichquintetts desselben Ensembles gibt es Beschleunigungen und Verzögerungen im jeweiligen Tempo, und das kommt der Musik zugute. Der 2. Satz, ein Andante, wird zwar sehr flüssig gespielt, wirkt aber gleichzeitig durch den dunklen Klang der Darmsaiten leicht grüblerisch, nicht als ein schwereloses "Gehen". Der Mittelteil ist lebhaft und hat viel Schubert in sich. Das Trio bildet einen großen Kontrast zum Scherzo; es hat zwar Schmelz, bleibt eber dennoch irgendwie 'streng' und herb. IV kennt in seinem Verlauf wenig Spannung, dafür aber viel Expressivität. Die Einspielung ist ein Plädoyer für dieses Jugendwerk, das hier nicht unverbindlich-verspielt sondern ernst klingt - und vielleicht mehr Tiefgang suggeriert, als es in Wirklichkeit hat. Die Tempi befinden sich ziemlich in der Nähe der Einspielung von L'Archibudelli, auch was die einzelnen Sätze betrifft, aber auch von etwa dem Zehetmair Quartett. Als Ganzes eine sorgfältige und emotional engagierte Interpretation, dessen harscher Klang allerdings nicht jedermanns Sache ist - dass man auf Darmsaiten auch anders musizieren kann, führt L'Archibudelli vor.
 




L'Archibudelli
Aufnahmedatum: 5/1994
Aufführungsdauer: *21'18 (08'17, 05'59, 03'09, 03'51)
Ausgaben: CD: Sony Classical Vivarte SK 66 251, Sony 50 2075-2 (nur 4. Satz)

Bamberger Dom-Quartett
Aufnahmedatum: 1988 (© u. P 1988)
Aufführungsdauer: *19'16 (06'12, 05'34, 03'37, 03'53)
Ausgaben: LP: Cavalli Records CLP 203
Bem.: Die Wiederholung im 1. Satz wird nicht gespielt. - Das Aufnahmejahr wurde von Cavalli-Records mitgeteilt. 

Bruckner-Quartett
Aufnahmedatum: 2./4.7.1991
Aufführungsdauer: *22'02 (06'55, 07'45, 03'33, 03'49)
Ausgaben: CD: Camerata 32CM256, 25CM256 
Bem.: Die Wiederholung im 1. Satz wird nicht gespielt.

Filarmonica Quartett
Aufnahmedatum: 13.2.2013 (Live, Novosibirsk, Philharmonic Hall)
Aufführungsdauer: *23'40 (09'29, 06'18, 03'22, 04'31)
Ausgaben: Video: YouTube

Fine Arts Quartet
Aufnahmedatum: 2003
Ausgaben: Download von classics online; SWR 10241
Bem.: Aufnahme nach dem Untergang von Classics online vom Markt verschwunden

Fine Arts Quartet
Aufnahmedatum: 22./24.9.2007
Fassung/Partitur: Nowak
Aufführungsdauer: *23'55 (09'11, 06'55, 03'18, 04'31)
Ausgaben: CD: Naxos 8.570788, Hänssler Profil PH 13007 (Anton Bruckner - The Collection, 20 CD, vol. 12)
 
Fitzwilliam String Quartet
Aufnahmedatum: 24./27.11.2010, 11./12.4+16./18.11.2011
Aufführungsdauer: *21'39 (08'18, 05'50, 03'21, 04'10)
Ausgaben: CD: Linn Records CKD 402 (zus. mit Streichquintett und Intermezzo)

Erwin Horn
Aufnahmedatum: 2008
Fassung/Partitur: Bearbeitung des 3. Satzes für Orgel
Aufführungsdauer (nur 3. Satz):
Ausgaben: CD: Josef Butz 2140 (Romantische Orgeltranskriptionen)

Israel String Quartet
Aufnahmedatum: 2008
Aufführungsdauer: *23'42 (08'50, 07'09, 03'42, 04'01)
Ausgaben: CD: QuintOne Q 1002

Keller Quartett
Aufnahmedatum: 1962 (Weber: 1967)
Aufführungsdauer: *19'17 (06'19, 06'02, 03'06, 03'50)
Ausgaben: LP: Da Camera magna SM 92707/8, Oryx ORX 1807/8, Musical Heritage Society MHS 1363/4
Bem.: Wiederholung im 1. Satz wird nicht gespielt.

Koeckert Quartett
Aufnahmedatum: 1957
→ 5/1974

Koeckert Quartett
Aufnahmedatum: 5/1974 (Studio-Aufnahme)
Fassung/Partitur: Ausgabe von Rudolf Koeckert?
Aufführungsdauer: *20'09 (07'06, 05'56, 03'03, 04'04)
Ausgaben: CD: Karna Musik Live KA-143M (2 CD)
Bem.: Die Uraufführung von Bruckners Streichquartett fand am 15.2.1951 beim RIAS Berlin durch das Koeckert-Quartett statt. Karna Musik gibt als Aufnahmedatum 1957 an, was auf Grund des ausgezeichneten Stereo-Klangs ausgeschlossen ist; außerdem ist die Aufnahme identisch mit einer vom Bayern Klassik 4 am 22.12.2005 gesendeten Aufnahme, die vom 5/1974 stammte. - Die Wiederholung im 1. Satz wird nicht gespielt. 

Leipziger Streichquartett
Aufnahmedatum: 27./30.1.2004
Aufführungsdauer: *20'39 (07'56, 05'54, 03'07, 03'52)
Ausgaben: CD: MDG 307 1297-2 (zus. mit Streichquintett)

Notre Quartet (Südkorea)
Aufnahmedatum: 10.4.2015 Live (Seoul, Perigee Hall)
Aufführungsdauer: *22'20 (08'12, 06'48, 03'25, 03'55)
Ausgaben: Video: YouTube

Reinhold Quartett
Aufnahmedatum: 4./8.2.2002
Aufführungsdauer: *21'48 (08'27, 05'20, 03'39, 04'22)
Ausgaben: CD: Querstand VKJK 0023
Bem.: Die Wiederholung zu Anfang des 2. Satzes (1-11) wird nicht gespielt.

Tassilo-Quartett
Aufnahmedatum: 13.1.1996
Aufführungsdauer: *23'08 (08'42, 06'08, 03'30, 04'48)
Ausgaben: CD: Weinberg Records SW 01 036-2, Mühlviertler Kernland Museumsstrasse (Kammermusikalische Kostbarkeiten von Anton Bruckner)

Zehetmair Streichquartett
Aufnahmedatum: 3/2010 Live (London, Wigmore Hall)
Aufführungsdauer: *23'10 (09'01, 06'58, 03'16, 03'55)
Ausgaben: CD: GNP 173
Bem. Das genaue Datum des Konzertes in der Londoner Wigmore Hall war am 15.3.2010 (BBC-Übertragung)

Zehetmair Streichquartett
Aufnahmedatum: 4+5/2010
Aufführungsdauer: *21'34 (08'14, 06'39, 03'09, 03'32)
Ausgaben: CD: ECM 2195/6 (2 CD) (zusammen mit Beethoven, Hartmann. Holliger)