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Helgoland g-Moll, WAB 71 (1893)

Helgoland g-Moll, WAB 71 (1893)
"Hoch auf der Nordsee, am fernesten Land"
Chorballade für vierstimmigen Männerchor u. großes Orchester
Autor des Textes: August Silberstein

Erstausgabe: 1893
NGA: XXII/2, Nr. 8 (Burkhart, Führer, Nowak)

Für die Uraufführung versah der Dirigent Eduard Kremser die Partitur mit dynamischen und agogischen Zeichen, die von Bruckner genehmigt wurden; in der Partitur der NGA sind sie einzeln bezeichnet.

Van Zwol Bruckner-Biografie 714f.




 




Die Aufnahmen im chronologischen Überblick

Es gibt nur wenige Aufnahmen dieses Spätwerks, wofür man ab und zu den Text verantwortlich macht: ein Gedicht aus der Epigonenküche der zweiten Jahrhunderthälfte voll abgestandener, schwülstiger Metaphern, mit einem spätestens heute anrüchigen deutschnationalen Inhalt (von einem jüdischen Autor), aber wahrscheinlich waren die hohen Anforderungen, die die Partitur an die Interpreten stellt, ausschlaggeben: Die Partitur fordert eine große Orchesterbesetzung, vergleichbar mit der der Symphonien, und setzt einen großen, technisch versierten Männerchor voraus - und die Männerchorkultur, im 19. Jahrhundert noch so selbstverständlich, ist heutzutage stark zurückgegangen.
Bruckner fordert am Anfang der Partitur: "kräftig (und nicht zu schnell)". Das setzt einen großen Chor voraus, der außerdem flexibel und wendig sein muss, denn Bruckner hat viele Vortragsangaben eingestreut.

Die älteste Aufnahme ist die von Morris (1977). Es ist von den vieren die mit Abstand langsamste und wuchtigste. Der Dirigent arbeitet mit heftigen Kontrasten, seine Interpretation vermittelt eindringlich die wilde, stürmische Atmosphäre, die die Partitur vorschreibt. Die Aufnahme wirkt sehr räumlich, lässt dafür aber an ff-Stellen Transparenz vermissen, das Orchester droht den Chor zu überstimmen, und der Text lässt sich nur noch mit Mühe verfolgen. Die Interpreatation ist dynamisch sehr präzise, vor allem in bezug auf die Crescendi. Zu dem Interpratationsansatz des Dirigenten passt, dass der Kontrast zwischen den dramatischen Eckpfeilern, wo der Kampf geschildert wird, und dem lyrischen Mittelteil, wo Gott um seine Hilfe angefleht wird, groß ist. Wo die Interpretation dieser Aufnahme durchaus zu überzeugen vermag, ist leider ihr großer Minuspunkt die Aufnahmetechnik. Gegen Schluss, zwischen T. 246 und 288, wird der Klang so breiig, dass ein ästhetischer Hörgenuss kaum noch möglich ist; die Schlusstakte sind dann wieder sehr imposant. Vielleicht ist die Aufnahme für die CD-Ausgabe "aufgepeppt" worden - sie klingt stellenweise atemberaubend, aber das geht schwer auf Kosten der Transparenz. Orchester und auch Chor klingen weniger "poliert" als auf den beiden nächsten Aufnahmen unter Barenboim.

Barenboims Aufnahmen kamen beide im Rahmen einer Gesamtaufnahme der Symphonien zustande. Die erste entstand 1979 mit dem Chicago Symphony Orchestra. Üppiger Klang, vielleicht ein wenig wolkig, etwas weniger wuchtig als bei Morris, relativ langsam (aber immer noch eine Minute schneller als Morris), großer, weniger Chor, der die Crescendi und decrescendi souverän meistert, der sowohl "drängend" wie auch weich und "feierlich" singt. Zwischen Chor und Orchester ist Gleichgewicht. Die Aufnahme ist sehr effektvoll - auch der Ausdruck des Triumpfes über die dank Gottes Hilfe abgesoffenen Römer!

Barenboims zweite Aufnahme (1992) kam mit den Berliner Philharmonikern zustande. In beiden Fällen also was das Orchester und auch was den Chor angeht exzellente Ensembles - es kommt also auf die Interpretation und auf die Aufnahmetechnik an. Die zweite Aufnahme ist deutlich schneller: 11'08 gegen 13'48, und das resultiert in einem energischeren Eindruck, der stellenweise leicht stakkatohaft wirkt, was auch durch den klar gestochenen schlanken Klang komt. Die Aufnahme ist sehr transparent, die Läufe der Bläser sind deutlich hörbar, die Crescendi und Forti sind viel schärfer (vgl. z.B. T. 56) - sie "explodieren" gleichsam. Wo das Chicago Symphony Orchestra einen satten Klang produziert, der auch für Gründerjahrebombast gut ist, wirkt der Klang der berliner Philharmoniker in dieser Aufnahme differenzierter, subtiler, verfeinerter; der Berliner Chor erfüllt dieselben hohen Ansprüche wie der aus Chicago, wenn es auch Unterschiede in der Klangfarbe gibt. Beide Aufnahmen, sowohl die mit dem CSO wie die mit dem BPO, überzeugen, es könnte also der klangtechnische Aspekt die Waage zugunsten der zweiten Aufnahme ausschlagen lassen.

Hold-Garrido (2011) hat seine Aufnahme mit einem nicht-professionellen aber traditionsreichen Chor realisiert, und das Ergebnis kann sich hören lassen: Der Chor singt kräftig und frisch, das Orchester hält gut mit, scheint aber manchmal weniger sensibel als die Chicagoer und die Berliner zu spielen - so sind etwa die Hörner in T. 40 und 51 viel zu laut für ein p; das Orchester ist hörbar kleiner als die beiden unter Barenboim, mit einem weniger vollen Klang - was auch eine Frage des Geschmacks ist. Die Aufnahme ist klar, wenn auch weniger scharf gestochen als bei den Berlinern, aber die Transparenz überzeugt; vielleicht ist die Interpretation eine Spur einförmiger als bei Barenboim 2, etwas weniger raffiniert, aber das fällt höchstens im direkten genauen Vergleich auf. Ohne Barenboim 2 daneben ist diese eine gute Alternative für Helgoland, und die CD bietet außerdem noch andere seltene Werke des Männerchor-Repertoires.




Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra & Chorus
Aufnahmedatum: 3/1979
Aufführungsdauer: *13'48
Ausgaben: LP: DG 2707 116, DG 410 650-1; CD: DG 437 250-2 (+ Symph. Nr. 0), DG 429 025-2 (GA, 10 CD), Tower Records Vintage Collection PROC-... 

Daniel Barenboim
Berliner Philharmonisches Orchester, Rundfunkchor Berlin, Ernst-Senff-Chor
Aufnahmedatum: 29.10.1992 Live (Berlin, Philharmonie)
Aufführungsdauer: *11'08
Ausgaben: CD: Teldec 0630 16646-2 (+ Symphonie Nr. 1), Teldec 3984-23496-2 (GA, 9 CD), Teldec WPCS-6576/84 (GA, 9 CD)
Bem.: Fernsehmitschnitt

Jerzy Cichocki
The Victoria Scholars Men's Choral Ensemble, William O'Meara, Klavier
Fassung/Partitur: Bearbeitung für Klavierbegleitung
Aufnahmedatum: 3.6.2012 Live (Toronto, Our Lady of Sorrows Church)
Aufführungsdauer: *12'47
Ausgaben: Video: YouTube

Alberto Hold-Garrido
Lund Student Singers, Malmö Opera Orchestra
Aufnahmedatum: 7./10.6.2011
Aufführungsdauer: *11'52
Ausgaben: CD: Naxos 8.572871 (Choruses for Male Voices and Orchestra), Hänssler Profil PH 13007 (Anton Bruckner - The Collection, 20 CD, vol. 15)
 
Wyn Morris
Ambrosian Male Voice Chorus, Symphonica of London
Aufnahmedatum: Weber: 1977 ((P) 1978)
Aufführungsdauer: *14'42
Ausgaben: LP: Symphonica SYM 11, Peters International PLE 143, CD: IMP PCD 1042, Van PCD 1042, Klassic Haus KHCD-2012-043 (zus. mit Bruckner 6 unter Heinz Bongartz)

Bernhard Steiner
Kölner Männer-Gesang-Verein, Philharmonie Südwestfalen
Aufnahmedatum: 26.6.2011 Live (Köln, Philharmonie)
Aufführungsdauer: *11:25
Ausgaben: Video: YouTube