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Germanenzug d-Moll, WAB 70 (1863)

Germanenzug d-Moll, WAB 70 (1863)
"Germanen durchschreiten des Urwaldes Nacht"
Vierstimmiger Männerchor, Männersoloquartett und Blechbläser
Autor des Textes: August Silberstein

Erstausgabe: Josef Kränzl, Ried (1865)
Neben dieser Originalfassung entstanden zu Bruckners Lebzeiten eine Bearbeitung mit Streicher-Begleitung (etwa 1892) und eine für großes Orchester (Eduard Kremser).


NGA: XXII/2, Nr. 7 (Burkhart, Führer, Nowak, 1987)

Van Zwol Bruckner-Biografie 714




 

 



Die Aufnahmen im Überblick

Die fonografische Rezeption von Germanenzug ist ein Trauerspiel. Das Brucknerlexikon und Van Zwol weisen darauf hin, dass das Werk anscheinend zu Bruckners Lebzeiten sehr beliebt war; darauf deuten sowohl die diversen Aufführungen wie auch der Umstand hin, dass der Mittelteil "In Odins Hallen" bei Bruckners Beerdigung gespielt wurde. Heutzutage sieht die Rezeption ganz anders aus: Es gibt kaum Aufführungen und kaum Aufnahmen. Dafür könnte es diverse Gründe geben. Es kann sich eine Änderung im Publikumsgeschmack vollzogen haben, sowohl was die Musik betrifft wie auch im Hinblick auf die Thematik und die sprachliche Gestalt des Textes: sein (österreichischer?) Patriotismus wie auch die schwülstige Pathetik seiner Sprache stoßen heute ab. Weiter hat die Kultur der Männerchöre, der 'Liedertafeln', wie sie besonders im 19. Jahrhundert blühte, heutzutage viel an gesellschaftlichem und kulturellem Impakt verloren. Nimmt man Bruckners Werke für Männerchor als Maßstab, dann müssen diese (nicht-professionellen!) Chöre außerdem über beträchtliches Können verfügt haben; bei Germanenzug verlangt Bruckner etwa vor allem dem Solistenquartett (das sich normalerweise aus dem Chor rekrutiert) einiges ab. Und auch die Besetzung von Germanenzug mit einem Harmonieorchester als Begleitung kann ein Hindernis bilden: Der Klang ist gewöhnungsbedürftig (wie bei der e-Moll-Messe auch) und auch die Harmonieorchester kämpfen heutzutage mit Problemen.

Der damalige Verleger von Germanenzug (es war das erste Werk von Bruckner, das in Druck erschien) verlangte von Bruckner, dass dieser für die Probenarbeit einen Klavierauszug herstellte, und der Klavierpart (der also von Bruckner selbst stammt!) ist in der Partitur mitabgedruckt, ganz unten; irreführend ist allerdings, dass auf der ersten Seite ein vertikaler Strich alle Instrumente, auch das Klavier, verbindet, so dass der Eindruck entstehen kann, das Klavier gehöre mit zum Orchester. In der kritischen Gesamtausgabe weist Nowak auf diesen Umstand hin. Die Tatsache aber, dass die Klavierbegleitung von Bruckner selbst stammt, mag manche Chorleiter dazu verführen, das Werk eben mit Klavier und ohne Orchester aufzuführen.

Zur Zeit gibt es fünf Aufnahmen - vier davon stammen von denselben Interpreten, nämlich von der Universitätssängerschaft Barden zu Wien, einer "musischen Studentenverbindung", die auf den 1858 von Bruckners Freund Rudolf Weinwurm gegründeten "Wiener Akademischen Gesangverein" (AGV) zurückgeht - derselbe Chor, der 1876 Germanenzug in Wien aufführte; Bruckner wurde später zum Ehrenmitglied ernannt. Der Verein hatte wohl immer das Odium des Deutsch-Nationalen, man bewunderte in Bruckner z.B. den "deutschen" Komponisten. Auch die US Barden zu Wien haben Bruckner noch immer im Repertoire, aber als Chor haben sie an Präsenz und vermutlich auch an Qualität verloren - wie die Aufnahmen vermuten lassen. Alle vier Aufnahmen sind ausgesprochene Amateuraufnahmen aus dem Schallarchiv des Chores, aber mit unterschiedlichem Qualitätsniveau, u.a. weil, wie das für einen Studentenchor nun mal typisch ist, die Besetzung immer wieder wechselt - perfekt oder auch nur nahezu perfekt ist keine dieser Aufnahmen.

Die Aufnahme vom 26.10.1996 ist schlichtweg schlecht aufgenommen: Das schmetternde Blech beherrscht das Klangbild und übertönt regelmäßig den Chor. Außerdem hat der Saal offenbar keine gute Akustik, und das resultiert in einem harten Klang. Der Chor ist unsicher und singt manchmal sogar falsch, und dasselbe gilt mutatis mutandi für das Blech. Hinzu kommt, dass der Chor in dieser Ausgabe deutlich viel zu klein ist: Die US Barden haben, wie viele andere Männerchöre, Nachwuchsprobleme. So entsteht im Klangbild ein Mißverhältnis einerseits zwischen dem Chor und dem Orchester, andererseits zwischen dem Chor und dem Solistenquartett. Chor und Orchester fügen sich nirgendwo zu einem einheitlichen Klang zusammen. Das Orchester spielt unbefriedigend, unklar ist, ob die Besetzung (zahlenmäßig) der Partitur entspricht, irgendwie klingt das Ganze unbeholfen, man fühlt sich an ein Konzert einer Musikschulklasse erinnert...

Besser ist die Aufnahme vom 18.5.1996. Die Aufnahme klingt natürlich, das Blech tritt nicht zu sehr hervor, nur ist leider die Akustik etwas dumpf und engt den Klang ein. Der Chor singt etwas unsicher, aber mit Stilgefühl, ohne zu brüllen, dynamisch differenziert. Leider ist das Soloquartett gesangtechnisch völlig ungenügend. Die Aufnahme ist transparent. Man bekommt einen Eindruck, wie die Musik klingen könnte, wenn der Chor - und vor allem das Solistenquartett - besser drauf wäre. Eine sympathische, aber durch die gesanglichen Mängel nicht empfehlenswerte Aufnahme.

Die beiden Aufnahmen mit Klavierbegleitung sind, was den Gesang angeht, besser. Allerdings ist die Klavierbegleitung, auch wenn sie von Bruckners Hand ist, selbstverständlich nur ein Notbehelf, gedacht für die Chorproben. Durch den Wegfall der Harmoniebegleitung ändert sich das Klangbild grundlegend, das 'Draufgängerische' geht verloren; das akustische Ergebnis in dieser und der folgenden Aufnahme ist zwar nicht schlecht, entspricht aber nicht Bruckners Intentionen. Vom Gesang her befriedigen diese aber besser als die beiden vorigen, auch wenn auch hier der Chor nicht immer tonfest ist. Das Klavier ist zwar nicht so effektvoll wie ein Orchester und klingt vor allem auf dieser CD leise, aber ästhetisch akzeptabler als ein unbeholfen tönendes Harmonieorchester (wie auf der Aufnahme vom 26.10.1996), zumal auch die Akustik hier mithilft.

Wenn man die Klavier- statt der Harmoniebegleitung akzeptieren kann, ist die Aufnahme, die irgendwo zwischen 1997 und 2007 entstanden ist, die beste. Auch hier singen selbstverständlich keine geschulten Stimmen, sie klingen ab und zu unsicher und so, wie Studenten halt ihre Lieder singen, laut und voller Inbrunst. Anscheinend singt aber in diesem Fall ein relativ großer Chor, was den Klangverhältnissen zugute kommt.

Die Hoffnung auf eine rundherum befriedigende Aufnahme löst auch Shewan (1991) nicht ein - offenbar haben sich die Umstände gegen Bruckner verschworen. Shewans erstes Handikap ist die Sprache: Die amerikanische Aussprache stört und beeinträchtigt die Wirkung. Das zweite Problem ist die Aufnahmetechnik: Der Klang ist hart und harsch, wirkt aggressiv und bietetwenig Transparenz. Und dann der Chor, der kaum ein p, geschweige denn ein pp kennt - alles wird mit ungefähr der gleichen Klangstärke gesungen. Hinzu kommen ungleiche Einsätze. Im Soloquartett tut sich vor allem der 1. Tenor, der hier den lästigsten Part singt, durch Brüllen unangenehm hervor, und das Solohorn passt sich ihm an. Die Tenöre des Chores singen mit viel Vibrato - mit sehr viel Einsatz, aber nicht unbedingt schön. Für ein nicht-professionelles Ensemble eine akzeptable Aufführung, die aber weit entfernt von einer befriedigenden Aufnahme ist, noch einmal abgesehen von der grausamen Aufnahmetechnik.

Fazit: Es gibt keine einzige gute Aufnahme von Germanenzug - ein trauriges Ergebnis bei einem einstmals beliebten Werk!  



Attila Nagy
Jörg Polzhuber, Gernot Fleischmann (Tenor), Gerolf Lang, Helmut Kratky (Bass)
Universitätssängerschaft 'Barden zu Wien', Männerchor Wien
Ungarisches Bläserensemble
Aufnahmedatum: 18.5.1996 Live (Wien, Festsaal des Bezirksmuseums der Josefstadt, im Rahmen der Wiener Bezirksfestwochen 1996)
Aufführungsdauer: *07'26
Ausgaben: CD: disc-lazarus DL-USB 8B (Anton Bruckner und seine Zeit)

Attila Nagy
Jörg Polzlhuber, Gernot Fleischmann (Tenor), Gerolf Lang, Helmut Kratky (Bass)
Universitätssängerschaft 'Barden zu Wien'
Ursula Nagy (Klavier)
Aufnahmedatum: 7.6.1996 Live (Wien, Rittersaal der Burg Leopoldsberg)
Fassung/Partitur: Das Blasorchester wurde durch ein Klavier ersetzt.
Aufführungsdauer: *07'26
Ausgaben: CD: disc-lazarus DL-USB 8C (Bruckner-Festabend anlässlich des 100. Todestages von Ehrenmitglied Anton Bruckner), disc-lazarus DL-USB4 (Gaudeamus bei den Barden in Wien)

Attila Nagy
Jörg Polzlhuber,Gernot Fleischmann (Tenor), Gerolf Lang, Helmut Kratky (Bass)
Universitätssängerschaft 'Barden zu Wien', Männerchor Wien
Mitglieder des Musikvereines Hörsching
Aufnahmedatum: 26.10.1996 Live (Hörsching, Musikzentrum)
Aufführungsdauer: *07'27
Ausgaben: CD: disc-lazarus DL-USB 8D (Konzert im Brucknerjahr)

Attila Nagy
Jörg Polzhuber, Gernot Fleischmann (Tenor), Gerolf Lang, Helmut Kratky (Bass)
Universitätssängerschaft 'Barden zu Wien', Männerchor Wien
Ursula Nagy, Klavier
Aufnahmedatum: zwischen 1997 und 2007 Live
Fassung/Partitur: Statt der Blasorchester-Begleitung hier ein Klavier
Aufführungsdauer: *07'27
Ausgaben: CD: disc-lazarus DL-USB 26 (Im Denken treu, im Liede deutsch)

Robert Shewan
Jack Richardson u. Brian Clickner (Tenor), Jeffrey Stell (Bar.), Allan Mosher (Bass)
Roberts Wesleyan College Chorale and Brass Ensemble
Aufnahmedatum: 19./21.4.1991
Aufführungsdauer: *07'59
Ausgaben: CD: Albany TROY 063 (Choral Works of Anton Bruckner)